Die Versorgung von Patienten mit anderen kulturellen Wurzeln gehört längst zum Alltag vieler Ärzte. Noch immer birgt sie Risiken: Missverständnisse und Kränkungen können auftreten, auch die Compliance kann gefährdet sein. Doch interkultureller Umgang lässt sich lernen.

Dr. Meiko Merda ist ein Brückenbauer: Behördenmitarbeitern zeigt er, wie sie Antragstellern oder Hilfesuchenden aus anderen Kulturkreisen begegnen können, Sicherheitsfachkräften gibt er Tipps für eine gute Zusammenarbeit mit ausländischen Kollegen, Manager bereitet er auf die Führung multikultureller Teams vor. Als sogenannter „interkultureller Trainer“ bringt Merda Menschen bei, die „eigene kulturelle Brille“ zu erkennen, wie er sagt, offen für Neues zu sein, sich in eine fremde Kultur hineinzuversetzen. „Interkulturelle Kompetenz ist als Schlüsselqualifikation unerlässlich, um der wachsenden Vielfalt in unserem Land Rechnung zu tragen“, sagt der Kommunikationsexperte.
Immer häufiger zeigt Merda, der in Gesundheitswissenschaften promoviert hat, auch Ärzten und Pflegekräften, worauf sie achten sollten, wenn sie ausländische Patienten versorgen. „Die Globalisierung verändert unseren Arbeitsalltag: Zunehmend stoßen Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Wurzeln aufeinander, und damit andere Wertvorstellungen, Normen und Gepflogenheiten.“ Gerade im Gesundheitswesen ist es nötig, dass die Gesprächspartner, also Arzt und Patient, einander verstehen. Das gilt vor allem im ambulanten Praxisalltag, wie Dr. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der KV Nordrhein betont: „Die niedergelassenen Ärzte sind bei gesundheitlichen Beschwerden meist die ersten Ansprechpartner für Patientinnen und Patienten. „Es ist wichtig, von Anfang an kulturelle oder sprachliche Barrieren zu vermindern, um Missverständnissen bei der Diagnose oder bei der Einschätzung des Behandlungsbedarfs vorzubeugen.“

Fehldiagnosen nicht ausgeschlossen

Tatsächlich lauert hier laut Merda eine ganze Fallgrube an Problemen, von möglichen kleineren Irritationen oder Missverständnissen bis hin zu ungewollten Kränkungen. Selbst Fehldiagnosen und -behandlungen sind nicht auszuschließen. Merda gibt ein Beispiel aus seinen Trainings: Menschen mit türkischem Hintergrund sprechen – etwas metaphorisch – von Bauchschmerzen, wenn sie eigentlich seelische Belastungen haben, sie etwas bedrückt. „Ähnlich wie wir von Herzschmerz sprechen, wenn wir doch eigentlich Liebeskummer meinen“, so Merda. Nun könnte man annehmen, dass sich dieses Missverständnis doch schnell auflöse, spätestens bei weiteren Nachfragen nach spezifischen Schmerzen: Oberbauch, Unterbauch? Eher ein Stechen? Eher ein Brennen? Merda aber verneint: In der Eile, in der Hektik des ärztlichen Alltags sei schnell die Überweisung zum Gastroenterologen ausgestellt, wo vielleicht eine andere Behandlung angebracht wäre.
Es sind solche Details, auf die Teilnehmer in seinen Seminaren vorbereitet werden. Denn die Begegnung mit Menschen aus anderen Kulturkreisen, ein sensibleres, hellhörigeres Vorgehen, das lässt sich sehr wohl lernen und trainieren. Das befand auch die KV Nordrhein und hat daher, zusammen mit Partnern wie der Ärztekammer Nordrhein und dem gemeinsam getragenen Institut für Qualität im Gesundheitswesen Nordrhein (IQN), das Projekt InterKultKom initiiert: ein Schulungsmodell, im Rahmen dessen eruiert wird, welche Lehrinhalte Ärzte und Pflegekräfte brauchen, um für interkulturellen Dialog ausreichend vorbereitet zu sein. Austragungsort der mehrmonatigen Probe-Schulungsreihe war das Rhein-Maas Klinikum in Würselen. Auf dem Lehrplan: unterschiedliche Werte und Haltungen, Kommunikation, Krankheitsverarbeitung, Familie und Gender, Gewalt, Trauma, Tod und Trauer. Schon an den Lehrinhalten lässt sich ablesen, auf welche Stellschrauben es im Umgang mit Menschen aus anderen Ländern ankommen kann.
Beispiel Werte und Haltung: „Wir haben in Deutschland verinnerlicht, uns im Miteinander auch ungeachtet unserer Position oder unseres Geschlechts auf Augenhöhe zu begegnen, in den Dialog zu gehen“, so Merda. Viele andere Kulturkreise aber seien stark hierarchisch geprägt, dort hat der Arzt ein anderes Standing als etwa eine Pflegehilfskraft, oft auch der Mann eine überlegene, nach außen stärker repräsentierende Rolle als die Frau. Diese Verhältnisse müsse man nun persönlich nicht gutheißen oder unterstützen, wohl aber um sie wissen und entsprechend damit umgehen, so Merda. Das gelte vor allem im Patientenkontakt. Es wird Patienten geben, gerade im Krankenhaus, die sich nicht von einer Ärztin behandeln lassen wollen, sondern um den Kontakt mit einem männlichen Kollegen bitten. Das mag erschrecken, brüskieren, ist aber meist der kulturellen Prägung geschuldet. „Erst wenn Ärzte und Pfleger das wissen, können sie gut damit umgehen, denn: Aufklärung schafft Toleranz“, so Merda. Er rät Frauen in einem solchen Fall dazu, gut durchzuatmen, sich den Hintergrund der Bitte in Erinnerung zu rufen, um sie nicht zu persönlich zu nehmen – und den Patienten dann ruhig und freundlich über die anderen Verhältnisse in Deutschland aufzuklären. Er habe sich hier, in diesem Krankenhaus, damit anzufreunden, dass er von einer Frau behandelt werde. „Das hilft meist schon“, versichert Merda. Nur selten müssten dann noch männliche Kollegen geholt werden.

Interessant, gerade für Mitarbeiter in Kliniken, ist etwa auch das Wissen darum, dass Pflegekräfte in vielen anderen Ländern keine direkte Arbeit am Patientenbett erledigen. Wenn ein ausländischer Patient also beobachtet, wie eine Pflegekraft den Zimmernachbarn wäscht oder ihm Essen anreicht, dieselbe Fachkraft ihm aber später Medikamente geben will, kann es passieren, dass er sich weigert. „Er wird glauben, sie sei eine Hilfskraft – und ihr keine fachliche Expertise zutrauen.“ Auch hier hilft: Aufklären, geduldig erläutern, mit welchen Aufgaben Pflegekräfte in Deutschland betraut sind.
Das klingt alles nach viel Zeitaufwand, nach langen Gesprächen, die in der Hektik nicht immer möglich sein dürften. Doch auch schon genaues Beobachten und aktives Zuhören hilft im Umgang. Kommt beispielsweise eine kleine Familie in die Praxis, vielleicht aus Syrien oder dem Irak, heißt es: das Verhalten gut studieren. Wer spricht zuerst? Wie ist die Körperhaltung der Eltern zueinander? Meist sind es die Männer, die nach außen hin die Familie repräsentieren, nicht selten aber die Frauen, gerade in syrischen Familien, die innerhalb des Verbunds das Sagen haben. Hier ist Aufmerksamkeit angeraten: aufnehmen, was von den Patienten kommt, das Gesehene „bedienen“, wie Merda sagt, sich also responsiv verhalten.

Starke Familienbande

Häufig lässt sich zudem auf Krankenhausstationen beobachten, dass Patienten aus anderen Ländern von Angehörigen geradezu umlagert werden: Über Stunden wachen sie am Bett ihres kranken Verwandten, oft in großen Gruppen, bringen Essen mit, unterhalten sich. „Für Ärzte oder Pflegekräfte oder auch Bettnachbarn ist das oft eine Nervenprobe, nicht selten verstopfen die Leute ja auch die Türen oder Gänge“, so Merda. Auch hier kann Wissen um die kulturellen Unterschiede Verständnis fördern. „Es gibt Kulturkreise, da ist die Gesellschaft stark kollektivistisch geprägt, da gehört es zu den Aufgaben einer Familie, füreinander da zu sein, sich im Krankheitsfall nicht allein zu lassen.“ Das gilt nicht nur für Großvater oder Großmutter, „sondern auch für den Cousin dritten Grades“. Vor der Krankenzimmertür mache eine solche verinnerlichte Tradition nicht Halt. Bei muslimischen Patienten könnten Ärzte den Koran heranziehen, sagt Merda: „Darin finden sich Verweise, dass die Wiederherstellung von Gesundheit absolute Priorität hat, man also alles zu tun hat, um dem Kranken zu helfen“ – die Ärzte und Pfleger ihre Arbeit machen zu lassen, gehöre dann sicher dazu.
Unterdessen konnte das Nordrhein-Projekt schon erste Erfolge verbuchen, wie die Geschäftsführerin des IQN, Martina Levartz, in einem Fachbeitrag mitteilt. So hätten die auf die Schulungen folgenden Erfahrungsgespräche gezeigt, dass die Reflektion der eigenen Haltung und der Einblick in unterschiedliche Kulturen und Lebenskonzepte für neues Verständnis im Umgang mit anderen Kulturen sorge; auch die Sensibilität sei gewachsen. „Mit Erstaunen wurden auch die vielen Gemeinsamkeiten und Parallelen in den unterschiedlichen Kulturen wahrgenommen“, schreibt die IQN-Chefin. KV-Nordrhein-Vorsitzender Bergmann erhofft sich daher viel von weiteren Schulungen: „Von interkultureller Kompetenz und dem Fortbildungskonzept können sowohl die Patienten als auch die Behandler am Ende nur profitieren.“

Bleiben Sie entspannt

Neben allen Trainings und Schulungen rät Merda aber auch zu einem entspannten, natürlichen Umgang und dazu, nicht alles allzu verkopft anzugehen. „Am Ende gelten doch die gleichen Regeln wie in der Arzt-Patienten- Kommunikation mit Deutschen auch: empathisch sein, gut zuhören, Verständnis zeigen.“ Auch ein freundlicher Ton hat noch nie geschadet.

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