Für eine moderne Vergütung der ambulanten ärztlichen Versorgung soll die von der Bundesregierung berufene wissenschaftliche Kommission bis Ende 2019 Vorschläge unterbreiten. In einer gemeinsamen Erklärung erläutern die Bundesärztekammer, der Verband der Privaten Krankenversicherung und der Verband der Privatärztlichen Verrechnungsstellen, wie dieses Ziel des Koalitionsvertrages in der Praxis am besten erreicht werden kann:

Jedes Vergütungssystem soll eine gute ärztliche Versorgung ermöglichen. Politisch motivierte Experimente mit einer Einheitsgebührenordnung würden der Realität der komplexen medizinischen Leistungen und Möglichkeiten nicht gerecht. Sie gingen letztlich auf Kosten der Qualität und damit zu Lasten der Versorgung der Patienten.
Für die von gesetzlich und privat Versicherten gemeinsam in Anspruch genommene medizinische Versorgung in Deutschland bringt es spürbare Vorteile, dass im Hintergrund zwei unterschiedliche ärztliche Vergütungssysteme wirken, die sich sehr gut ergänzen. Durch den Wettbewerb von GKV und PKV erfüllen die Vergütungssysteme eine gegenseitige Korrektivfunktion, was die Versorgung deutlich verbessert. Von diesem Qualitätsgewinn profitieren alle Patienten.

Die Bundesregierung ist deshalb gut beraten, wenn sie dem Leitsatz des Koalitionsvertrags gerecht wird: „Sowohl die ambulante Honorarordnung in der Gesetzlichen Krankenversicherung (EBM), als auch die Gebührenordnung der Privaten Krankenversicherung (GOÄ) müssen reformiert werden.“
Zur Modernisierung der GOÄ liegt bereits ein umfassendes Konzept vor. Der gemeinsam von Ärzteschaft, PKV und Beihilfe entwickelte Vorschlag umfasst den neuesten Stand der Technik, garantiert eine rasche Integration zukünftiger medizinischer Innovationen und stärkt die „sprechende Medizin“, also die persönliche Zuwendung der Ärzte zu ihren Patienten.

Im Interesse der Patienten sollte auch der „Einheitliche Bewertungsmaßstab“ (EBM) - das Vergütungssystem der GKV - weiterentwickelt werden. Das gilt z.B. für die EBM-typische Quartalsvergütung, wonach viele Behandlungen nur mit einer festen Honorarsumme für das ganze Quartal bezahlt werden, unabhängig von der Häufigkeit der Arztkontakte. Diese Quartalssystematik - und nicht die Privatpatienten - sind eine Ursache für Wartezeiten im System der GKV.

Reformen sowohl innerhalb des Vergütungssystems der GKV als auch des Systems der PKV sind nicht nur möglich, sondern auch geboten. Nicht eine politisch motivierte Vereinheitlichung der Vergütungssysteme, sondern die differenzierte Fortentwicklung von EBM und GOÄ sind notwendig, um unser Gesundheitssystem auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten. Die guten Fortschritte bei der Entwicklung der neuen GOÄ zeigen, dass dies gelingen kann.

 

STATEMENT des PVS Verbandes zum Presse- und Fachgespräch „Moderne Vergütung statt ärztlicher Einheitspreis“ 13.11.2019, Berlin Dr. Christof Mittmann

Dualität weiter entwickeln – GOÄ stärken

Das deutsche Gesundheitswesen nimmt im internationalen Vergleich eine Spitzenposition ein. Dies macht sich insbesondere an einem zentralen Umstand fest: dem relativ niedrigschwelligen Zugang zu medizinischen Innovationen. Dies ist ein Erfolg des komplexen Geflechts der Dualität aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung.

Die solidarisch finanzierte gesetzliche Krankenversicherung ist eine wesentliche Errungenschaft des modernen, säkularen Sozialstaates. Sie sichert die gesundheitliche Versorgung für inzwischen rund 90 Prozent der Bevölkerung und verfügt daher über eine hohe gesellschaftspolitische Relevanz. Es gilt: Wer schwach ist und Hilfe benötigt, soll diese auch bekommen. Gleichwohl muss die Frage gestellt werden: Ist es richtig, dass inzwischen 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger gesetzlich versichert sind? Dieser hohe Anteil ist der kontinuierlichen Anhebung der Versicherungspflichtgrenze geschuldet. Im Resultat sind heute viele Bürgerinnen und Bürger pflichtversichert, obwohl sie ihre Krankenversicherung sehr wohl eigenverantwortlich gestalten könnten und auch wollten. Es wäre ein Akt der Solidarität, hier den bisher beschrittenen gesetzgeberischen Kurs umzukehren und die Bereitschaft zu Eigenverantwortung zu stärken.

In der gesetzlichen Krankenversicherung gilt grundsätzlich ein Erlaubnisvorbehalt für medizinische Leistungen. Innovationen werden in einem aufwendigen und zumeist über Jahre dauernden Prozess nur dann in den Katalog erstattungsfähiger Leistungen aufgenommen, sofern der Gemeinsame Bundesausschuss vom Nutzen, der Notwendigkeit und der Wirtschaftlichkeit der Leistung überzeugt werden konnte.

Derartige Begrenzungen bestehen in der privaten Krankenversicherung nicht. Medizinische Innovationen können zum Einsatz kommen, wenn der Arzt davon überzeugt ist, dass sie für Diagnostik und Therapie des jeweiligen Patienten geeignet sind. Diese Leistungen können dann nach den Grundsätzen der Gebührenordnung für Ärzte abgerechnet werden. Zwar ist diese Gebührentaxe veraltet, weil der Verordnungsgeber schuldhaft rund zwanzig Jahre seiner Aufgabe, für einen moderne, dem medizinischen Stand der Dinge entsprechende Gebührenordnung zu sorgen, nicht nachgekommen ist. Bislang behilft man sich mit der Anwendung analoger Bewertungen. Somit gilt: Die Privatmedizin versorgt Patienten mit Innovationen und zwingt das gesetzliche System auf diese Weise, sich zu vergleichen und zu reagieren. So entsteht ein permanenter Innovationsschub zugunsten aller.

Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass schon bald die umlagefinanzierte gesetzliche Krankenversicherung angesichts der demografischen Entwicklung und der mit dieser verbundenen Zunahme der Gesamtmorbidität an Grenzen stoßen wird. Beiträge können nicht einem Maße erhöht werden, wie Demografie und Fortschritt der Medizin es erfordern. Arbeits-, wirtschafts- und standortpolitische Aspekte sind bei der Beitragsfestlegung ebenso zu berücksichtigen. Im Zeitalter der Globalisierung und angesichts sich eintrübender Konjunkturaussichten gilt dies umso mehr. Man wird also über kurz oder lang nicht umhinkommen, die Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung ins Visier zu nehmen. Eine Rationierung oder grundsätzlicher Erlaubnisvorbehalt von Leistungen dürfte dabei keine geeignete Antwort auf die Frage nach einer angemessenen Gesundheitsversorgung sein, will man den o.g. Spitzenplatz und die unzweifelhaft bestehenden Errungenschaften der Dualität aus GKV und PKV nicht aufgeben. Zumal erkennbar auch das medizinisch Indizierte und Notwendige auf Dauer nicht nur über das reine Solidarprinzip zu finanzieren sein wird.

Es wäre also ein Akt politischer Ehrlichkeit, angesichts der demografischen Entwicklung und eines signifikanten Anstiegs der Lasten (spätestens mit Eintritt der sogenannten „Babyboomer“ in das Rentenalter), rechtzeitig Freiheitsoptionen zusätzlicher Wahlleistungen für gesetzlich Versicherte einzubauen. Nur so ist auf Dauer eine breite und gute Versorgung auf qualitativ hohem Niveau vorstellbar. Und hierfür bedarf es unweigerlich einer einzelleistungsbasierten Gebührenordnung.

Leider ist festzustellen, dass der Trend der gesundheitspolitischen Vorhaben noch immer in die entgegengesetzte Richtung läuft. Im Zentrum steht dabei u.a. die Vergütungsregelung der Ärzte, wohl erkennend, dass Honorar- und Gebührenordnungsfragen wesentlich das ordnungspolitische Szenario des gesamten Gesundheitswesens beeinflussen. So werden die aktuell mit hohem Aufwand betriebenen Arbeiten an einer neuen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) nach wie vor begleitet von Überlegungen, mittel- bis langfristig die gesetzliche und die private Krankenversicherung zusammenzuführen – ggf. über den Umweg, zunächst die privatärztliche Gebührenordnung den Regelungen der gesetzlichen Krankenversicherung anzugleichen.

Hierzu ist festzuhalten: Die privatärztliche Berufsausübung ist die freie Ausübung des Berufes außerhalb des Regelungsbereiches der gesetzlichen Krankenversicherung. Vergütungsregelungen der Sozialversicherungen lassen sich nicht auf ein individuelles Patient-Arzt-Verhältnis übertragen. Denn Maßstab für Art und Umfang der Leistung in einem privaten Behandlungsverhältnis ist nicht die Wirtschaftlichkeit bezogen auf die Versichertengemeinschaft – wie im Bereich der Sozialversicherung -, sondern ausschließlich die medizinische Notwendigkeit im Einzelfall.

Verschiedene Studien kommen zu dem Schluss, dass eine Angleichung der Vergütung notwendiger Weise unter dem Primat des EBM stünde. Dies hätte fatale Folgen für die Qualität der medizinischen Versorgung. Der PVS Verband hat zuletzt im Jahr 2018 in seiner Studie „Experiment Bürgerversicherung. Bedrohung der medizinischen Infrastruktur“ die Mehrumsätze im ambulanten Versorgungsbereich erhoben. Schon damals zeigte sich, dass jedem niedergelassenen Arzt im Durchschnitt rund 49.000 Euro im Jahr verloren gingen, würden die ambulanten Vergütungssysteme auf dem Niveau des EBM zusammengeführt. Bestätigt wurde diese Zahl jüngst durch die aktuelle Mehrumsatzstudie des PKV-Verbandes. Auf der Basis von neueren Zahlen beziffert der PKV Verband den Mehrumsatz pro niedergelassenem Arzt heute auf rund 54.000 Euro pro Jahr. Würden diese Mehrumsätze nicht kompensiert, führte das zwangsläufig zu einer Ausdünnung der Versorgungslandschaft. Gerade auch angesichts der Diskussion um die Zukunft der Krankenhausplanung kann das nicht intendiert sein. Unter der Prämisse, das Honorarvolumen zu erhalten, käme es, wie unlängst Prof. Wasem in seiner Studie „Vergütung ambulanter und ambulant erbringbarer Leistungen“ herausgearbeitet hat, zu einer starken Belastung der GKV bei gleichzeitiger Entlastung der PKV.

Durch eine mögliche Ausrichtung der Gebührenordnung für Ärzte am GKV-Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM) ist also weder eine individualisierte Behandlung abbildbar, noch kann gewährleistet werden, dass auch nur annähernd die betriebswirtschaftlich notwendigen Rahmenbedingungen bestehen, um die ärztlichen Leistungen noch in der erforderlichen Qualität erbringen zu können. In der Folge entstünden erhebliche Bedrohungen für die Versorgungsdichte und -qualität. Auch vor dem Hintergrund der Demografie entwickelte sich zwangsläufig ein neuer Markt für die ambulante Versorgung, der weit größer sein dürfte als das, was wir heute im Bereich der privaten Krankenversicherung und in der Beihilfe sehen. Diese Drohung einer Staatsmedizin mit all ihren Nachteilen bis hin zu einem vollständig privaten Parallelmarkt für Gesundheitsleistungen – wie er in Großbritannien entstanden ist - gilt es durch vorausschauendes Handeln abzuwenden. Und deshalb kann eine moderne, zukunftsorientierte Vergütungssystematik nur auf der Weiterentwicklung von EBM und GOÄ basieren. Jede Vereinheitlichung setzte die Leistungsfähigkeit und die besonderen Qualitätsmerkmale unseres Versorgungssystems aufs Spiel.

 

 

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Hier finden Sie das Statement des PVS Verbandes zur Pressemeldung