Eine Praxisabgabe ist eine komplexe Angelegenheit. Zu beachten sind neben der Suche nach einem Nachfolger viele steuerliche und rechtliche Aspekte. Harald Engel ist spezialisierter Rechtsanwalt aus Wuppertal und Mitautor eines Ratgebers für die geplante Praxisübergabe. Im Interview mit zifferdrei beantwortet er die wichtigsten Fragen.
Die Praxisabgabe ist ein Vorgang, der immer komplexer wird. Wie lange im Voraus sollte ein Arzt diesen Schritt planen, damit er optimal und strukturiert abläuft?
Engel: Das hängt ganz vom Einzelfall ab. Fest steht aber, dass man mit einem Vorlauf von 10 bis 15 Jahren auf der sicheren Seite ist. Dann bleibt genügend Zeit, alle Aspekte zu prüfen und im Bedarfsfall tätig zu werden. Natürlich weiß niemand, was in 10 bis 15 Jahren alles passieren wird. Klar ist aber, dass die abzugebende Praxis attraktiv bleiben oder werden muss. Sie sollte bestmöglich in den Bereichen Personal, Arbeitsabläufe und Patienten dastehen und natürlich müssen auch die Zahlen stimmen. Direkte Ansprechpartner sollten ein spezialisierter Steuerberater und ein Rechtsanwalt sein.
Die Praxisabgabe ist oftmals die Abgabe des eigenen Lebenswerkes – deshalb gern an einen Wunschnachfolger. Ist das problemlos möglich?
Engel: Mit dem Wunschnachfolger ist das so eine Sache. Fest steht, dass es ihn gibt, nur wo findet man ihn? Auch hier wird klar, je mehr Zeit ich habe, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich den Wunschnachfolger finde. Dennoch sollte jedem bewusst sein, dass man den hundertprozentigen Wunschnachfolger nur selten findet. Es ist deshalb wichtig, ein Mindestanforderungsprofil als „Pflicht“ zu erstellen. Erfüllt der Nachfolger mehr, so ist das die „Kür“.
Es gibt den sogenannten „privilegierten Nachfolger“. Was bedeutet das?
Engel: Dazu gehören zum Beispiel Verwandte, Angestellte oder Praxispartner des Arztes. Diese Personen haben ein besonderes Näheverhältnis zum abgebenden Arzt und zur Praxis und sind nach dem Willen des Gesetzgebers daher besonders zu bevorzugen.
Raten Sie zum Jobsharing für die erfolgreiche Nachfolgeregelung?
Engel: Jobsharing ist eine gute Möglichkeit, den potenziellen Nachfolger kennenzulernen. Außerdem lernt dieser die Patienten und die Praxis kennen, sodass ein reibungsloser Übergang eingeleitet werden kann. Nebenbei kann dies auch aus rechtlichen Gründen vorteilhaft sein und die Übertragung erleichtern.
Immer weniger junge Ärzte sind bereit, eine Praxis zu übernehmen. Es gibt eine Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage. Welche Vorteile hat aber
die Übernahme einer bestehenden Praxis?
Engel: Der Vorteil hat einen Namen: Selbstständigkeit! Die Selbstständigkeit bietet viele Vorteile sich zu verwirklichen und seine berufliche Zukunft selbst zu gestalten. Die Übernahme einer bestehenden Praxis gibt dem jungen Arzt die Möglichkeit an die Hand, eine voll funktionsfähige Einheit zu übernehmen und diese selbst nach den eigenen Vorstellungen und Wünschen zu gestalten. Eine Neugründung kann sich allein aus zulassungsrechtlichen Gründen schwierig gestalten und ist letztendlich immer in gewisser Weise ein Sprungbrett ins Ungewisse. Bei der Übernahme einer bestehenden Praxis besteht hingegen zumindest ein Fundament, auf dem man aufbauen kann.
Keine Praxisabgabe ohne Nachbesetzungsverfahren. Was ist zu beachten?
Engel: Wenn eine Praxis abgegeben wird und eine kassenärztliche Zulassung übertragen werden soll, wird grundsätzlich ein Nachbesetzungsverfahren notwendig. Zu beachten ist, dass im Einzelfall geprüft werden sollte, ob die gewünschte Übertragung möglich ist, bevor das Verfahren begonnen wird. Oft gelingt diese Übertragung ohne Probleme. Das muss aber nicht immer so sein. Schließlich ist auch das Vorliegen eines Praxisübernahmevertrages kein Garant für die Übertragung. Hierbei handelt es sich um zwei unterschiedliche Dinge.
Wann darf denn der Ausschuss entscheiden, eine Praxis nicht mehr nachzubesetzen?
Engel: Mit der Einführung des Versorgungsstärkungsgesetzes im Jahr 2015 versuchte der Gesetzgeber, die Versorgung der gesetzlich versicherten Patienten zu stärken. Man wollte unter anderem den Versorgungsgrad verbessern, der in Deutschland von Bundesland zu Bundesland verschieden ist. Bis zur Gesetzesänderung war es so, dass durch eine geschickte Vorgehensweise die Übertragung der Zulassung regelmäßig problemlos erfolgen konnte. Seit dem Versorgungsstärkungsgesetz gilt allerdings, dass bei einem zu hohen Versorgungsgrad – ab 140 Prozent – der Zulassungsausschuss die Versorgungsrelevanz prüfen muss und einer Nachbesetzung nicht stattgeben darf, wenn diese nicht gegeben ist. Ausgenommen hiervon sind allerdings die Übertragungen auf privilegierte Personen wie Verwandte oder Praxispartner des Arztes. Die Kassenärztliche Vereinigung hat dann allerdings den Vertragsarzt für seinen Sitz zu entschädigen.
Welche Hürden sind beim Kaufvertrag zu nehmen?
Engel: Es gibt zahlreiche Hürden bei der Übertragung einer Praxis, die es zu überwinden gilt. Wichtig ist, dass man sich die Zweigleisigkeit der Übertragung bewusst macht, wenn es um den GKV-Bereich geht. Der eigentliche Praxisübernahmevertrag ist privatrechtlich und richtet sich nach dem Zivilrecht, während die zulassungsrechtlichen Regelungen dem öffentlichen Recht zugeordnet sind. Das heißt, dass hier zwei unterschiedliche Vorgänge existieren und synchronisiert werden müssen. Allein ein Kaufvertrag reicht nicht aus, wenn die Übertragung der Zulassung in Gefahr ist. Es muss sichergestellt werden, dass hier beide Vorgänge koordiniert werden. Hier sollte man sich immer Unterstützung von einem spezialisierten Rechtsanwalt holen.
Welche Rolle spielt das Personal bei der Abgabe der Praxis?
Engel: Viele Abgeber und Übernehmer unterschätzen die wichtige Rolle des Personals bei der Übernahme. Schließlich sind es gerade die Mitarbeiter, die Patienten seit Jahren kennen und zu denen ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht. Sie sind der erste Anlaufpunkt für die Terminvergabe und Ausstellung von Rezepten. Zudem kennen die Mitarbeiter die Praxisabläufe, die Lieferanten und die Vertragspartner. Dieses Wissen und diese Bindung sollte sich der Übernehmer zunutze machen. Gelingt nach der Übernahme die Bindung des Personals nicht und bricht dieses weg, wird sich das unmittelbar wirtschaftlich negativ bemerkbar machen. Als Faustformel gilt daher für eine erfolgreiche Übernahme, dass der übernehmende Arzt vom Typ dem abgebenden Arzt ähneln sollte.
Beim Übertragungsvorgang wirken auch steuerliche Aspekte. Auf was ist besonders zu achten?
Engel: Beim Abgeber ist zu beachten, dass er die steuerlichen Privilegierungen nutzen sollte, um die für den erzielten Kaufpreis anfallende Steuer möglichst gering zu halten. Besondere Aufmerksamkeit ist zudem auf eine etwaig vorhandene Praxisimmobilie zu richten. Hier kann möglicherweise eine enorme Steuerlast vermieden werden. Leider kommt es immer wieder zu teuren Fehlern, die im Nachhinein nicht mehr rückgängig gemacht werden können.
MVZ-Gründung als neue Abgabeform: Ein Modell für die Zukunft?
Engel: Es ist richtig, dass sich das MVZ in den letzten Jahren wachsender Beliebtheit erfreut. Mit diesem Hype ist es aber so eine Sache. Ich glaube, dass das MVZ viele Gestaltungsmöglichkeiten für größere Einheiten eröffnet. Der klassische Einzelarzt und die kleine Berufsausübungsgemeinschaft dürften wenig Nutzen aus den Möglichkeiten des MVZ ziehen. Auch ist zu berücksichtigen, dass viele MVZ wirtschaftlich keineswegs gut dastehen. Allein die Sorge, seinen Sitz möglicherweise nicht übertragen zu können, sollte niemanden dazu veranlassen, ein MVZ zu gründen. Dieses Modell kann eine Lösung sein, ist aber nicht das Maß aller Dinge.
Text: Nicola Sieverling
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