Die Terminvergabe läuft nicht rund, Patienten warten viel zu lang im Wartezimmer: Viele Ärzte merken zwar, dass die Abläufe in ihrer Praxis haken, aber woran es liegt und was geändert werden müsste, ist einfach nicht richtig klar. Der Praxisalltag ist dafür oft zu hektisch und es fehlt die Zeit, sich darüber intensiv Gedanken zu machen. „Das größte Hindernis ist eine unzureichende Kommunikation im Ablaufsystem der Praxen“, sagt Beraterin und Trainerin Verena Billerbeck. Sie ist bei Kock + Voeste mit Hauptsitz in Berlin für die Kommunikation- und Teamentwicklung sowie das Praxismanagement tätig. „Für optimale Prozessabläufe sind dann die relevanten Weichen gestellt, wenn verstanden und gewertschätzt wird, was jeder Einzelne an seinem Arbeitsplatz braucht, um die Aufgaben bestmöglich zu erledigen“, ergänzt die Beraterin.
Praxisteam mit einbinden
Also steht am Anfang des Verbesserungsprozesses eine gründliche Analyse der Praxisabläufe – unter Einbindung des gesamten Teams. Denn die Angestellten lesen Krankenkassenkarten ein, vereinbaren Termine, erfassen die Leistungen und begrüßen jeden Patienten. Jede Mitarbeiterin ist die absolute Expertin auf ihrem Gebiet.
Von dieser Kenntnis haben Dr. Thomas Freier und Dr. Björn Wachter profitiert. Seit 2006 leiten sie eine Gemeinschaftspraxis im baden-württembergischen Göppingen. Gerade montags ging es in der Praxis der beiden Internisten drunter und drüber, wenn zu den einbestellten Patienten die Akut-Patienten hinzukamen. Nach dem Besuch eines Praxis-Manager-Kurses führten Freier und Wachter ein simples, aber hoch effektives System ein: Laufzettel, wie sie in der Industrie für schnellere Abläufe genutzt werden. Laminierte, recycelbare Karten für jeden Patienten sorgen seit zwei Jahren für die perfekte Übersicht. Meldet sich ein Patient telefonisch an, notiert die MFA an der Rezeption bereits seine Beschwerden, persönliche Daten und Maßnahmen wie Blutdruckmessungen oder EKG. Die Notizen erfolgen als Kreuzchen in vorgefertigten Feldern.
Laufkartensystem schafft Freiräume
Wenn der Patient dann in die Praxis kommt, liegt das Blutdruckmessgerät schon bereit und die MFA nimmt bei Bedarf ohne lange Wartezeiten Blut ab. „Wir haben so einen besseren und schnelleren Austausch und ersparen uns Nachfragen und Arbeitsanweisungen, die laut durch die Räume gerufen werden. Die Kommunikation zwischen Arzt und Angestellter ist klar und jeder kennt seine Aufgaben“, sagt Dr. Thomas Freier. Mehr noch: Das Laufkartensystem verschafft mehr Freiräume für die Behandlung von Akutpatienten, die ebenfalls von den kurzen Wartezeiten profitieren. Das Konzept der Internisten schenkt den Praxisangestellten mehr Lebensqualität durch weniger Überstunden. „Sie kommen abends um 18 Uhr pünktlich raus“, ergänzt Internist Freier. Mit seinem Kollegen Dr. Björn Wachter hat er die Sprechstundenzeiten dank der besseren Koordination so organisiert, dass jeder zwei freie Nachmittage in der Woche genießen kann.
„Wir nutzen die Zeit für Sport und kommen bei unseren Patienten authentisch rüber. Man kann als Arzt doch nicht gesunde Lebensführung predigen und es selbst nicht leben“, so Dr. Thomas Freier.
Für Beraterin und Trainerin Verena Billerbeck ist das Laufkartensystem der Schwaben ein Paradebeispiel für optimale Arbeitsprozesse. „Bessere Prozesse steigern die Effizienz, Produktivität und sorgen für ein harmonischeres und gesünderes Praxisteam. Mal angenommen, eine Praxis könnte ihre Reibungsverluste um 20 Prozent mindern, dann würde sie ihre Effektivität um 20 Prozent steigern. Das schlägt sich auch in der wirtschaftlichen Bilanz nieder“,
so die freie Mitarbeiterin bei Kock + Voeste, das seit 1989 bundesweit als führendes Beratungsunternehmen im ambulanten Gesundheitswesen aktiv ist.
Patientenpatenschaft als Erfolgsrezept
Dr. Susanne Nolof aus Elmshorn bei Hamburg punktet mit dem Modell der Patientenpatenschaft. Das von ihr entwickelte System profitiert von der Idee, rheumatologisch erkrankten Patienten einen Helfer zur Seite zu stellen, der mit seiner eigenen Erkrankung gut umgeht, Alltag und Beruf trotz der Einschränkungen meistert. Mit diesem mutmachenden Wissen können die Patienten – die Bereitschaft zur Patenschaft vorausgesetzt – andere Betroffene gut unterstützen. Diese Rheumapatenschaft ist ein weiteres Erfolgsrezept für eine bessere Patientenversorgung und effizientere Praxisführung.
Auf ein neues telemedizinisches Konsiliararztsystem setzt dagegen Dr. Wolfgang Landendörfer aus Nürnberg. Er gehört zu einem Team von hausärztlich tätigen Kinderärzten, die über eine datengesicherte Umgebung den Rat eines Spezialisten anfordern können. So werden seltene oder schwierige Krankheitsbilder wohnortnah und direkt behandelt. Anschließend wird der Patient gemeinsam von bei den Ärzten betreut. Das Telekonsiliararztsystem
„PädExpert“ könnte auch auf andere medizinische Fachdisziplinen übertragen werden.
Nach Ansicht von Verena Billerbeck sollte bei der Optimierung von Arbeitsprozessen die Kompetenz der Praxismitarbeiter stärker berücksichtigt werden. „Die Mitarbeiter verbringen in der Regel viel mehr Zeit mit dem Patienten als der Behandler selbst. Deshalb ist es so wichtig, unter anderem regelmäßige Teamsitzungen abzuhalten und den strukturierten Austausch zu fördern. Auch müssen Prozesse immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden. Manchmal verändern sich Anforderungen“, lautet der Rat der gelernten MFA.
Arztentlastung durch Patientenschulung
Eine innovative Idee aus dem kleinen Böhmenkirch auf der Schwäbischen Alb macht im wahrsten Sinne des Wortes Schule: In der Praxis von Allgemeinmediziner Dr. Josef Brandner entwickelte MFA Edith Biegert ein Konzept zur Schulung von chronisch kranken Patienten hinsichtlich der
Selbstvorsorge. Biegert, die seit über 25 Jahren in der Praxis arbeitet, gibt nach Feierabend Ratschläge zu Ernährung, Sport und medikamentöser Behandlung. Das Programm besteht aus vier Modulen in acht Unterrichtseinheiten, die mit einem Handbuch begleitet werden. Patienten mit Asthma, COPD oder Diabetes erhalten in den Kleingruppen ein Bewusstsein für ihre Krankheit und einen alltagstauglichen Wegweiser für mehr Lebensqualität. Das Präventionsprogramm läuft seit 2015 mit viel Erfolg und steigert sowohl die Patientenzufriedenheit als auch die Bindung an die Praxis von Dr. Josef Brandner. „Der Arzt ist entlastet, und außerdem trauen sich die Patienten eher, über ihre Erkrankung mit einer Angestellten zu sprechen und Fragen zu stellen. Das Vertrauensverhältnis ist anders“, lautet das Resümee der engagierten MFA Edith Biegert. Mittlerweile haben viele Praxen im Großraum Stuttgart ihre Projektidee übernommen.
Der Aufbruch zum Perspektivwechsel lohnt sich also. Nach dem Motto „Andere kann man nicht ändern, sondern nur sich selbst“, bietet der selbstkritische Praxisprüfstand viele Chancen für jeden Inhaber.
Text: Nicola Sieverling
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