Wagen Sie einmal den Versuch und lauschen Sie, nur kurz, den Gesprächen Ihrer Mitarbeiter: Kommunizieren sie direkt miteinander, offen? Ist der Ton zugewandt, kollegial? Und: Arbeiten sie eigenständig, kommen auch gut ohne Ihre Anweisungen aus? Spüren Sie, für Momente nur, in die Atmosphäre hinein: Wie wird zwischen Empfang, Untersuchungsraum und Wartezimmer gearbeitet: hektisch, angestrengt, gar übellaunig? Oder konzentriert – und dennoch entspannt? Es sind kurze Eindrücke wie diese, an denen man ein gut funktionierendes – und damit auch gut geführtes – Praxisteam erkennt, meint Sabine Neuwirth, Kommunikationstrainerin aus München. Seit Jahren suchen Ärzte ihre Seminare auf, um Führungsverhalten und Kommunikation zu lernen – laut Neuwirth eine durchaus gute und vorausschauende Investition in die eigene Niederlassung: „Wenn es innerhalb des Praxisteams zu Konflikten kommt, gehen immense Ressourcen verloren“, davon ist sie überzeugt. „Hier ist der Arzt als Führungskraft gefordert.“ Der Arzt als Führungskraft. Neben allem, was ohnehin schon von einem Mediziner gefordert wird – fachliche Exzellenz, stete Qualität, Empathie für Patienten, wirtschaftliches Handeln – nun also auch noch dies: Chef sein. Manager von Personal, Steuermann von Prozessen, vielleicht gar Mentor und Vorbild, Ansprechpartner bei Problemen der Angestellten allemal. Für Sabine Neuwirth ist diese Anforderung an Mediziner ein Ausdruck unserer Zeit: Effizienz und Wirtschaftlichkeit stünden heute auch in den Praxen stärker denn je im Vordergrund, Patienten avancierten zu Bezahlern; Arztpraxen mithin zu modernen Dienstleistungsunternehmen, die – und das ist der Punkt – lediglich mit gutem Praxispersonal funktionieren und erfolgreich sein können. „Im Zuge dieser Entwicklungen gewinnt der Arzt als Führungskraft eine, wenn auch häufig noch ungewohnte, doch auf jeden Fall tragende Rolle.“

Nicht nur aufs Bauchgefühl verlassen

Im stationären Sektor sieht es kaum anders aus: „Auch hier sind Führungskompetenzen mehr denn je gefordert“, so Dr. Günther Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin. In den Kliniken habe bislang die Figur des Chefarztes Stabilität und Kontinuität in die einzelnen Abteilungen gebracht, auch für deren Ausrichtung und Weiterentwicklung gesorgt. Heute sei aber zunehmend die mittlere Leitungsebene gefragt. „Hier gewinnt ärztliche Führung eine neue Dimension“, so Jonitz. Es gehe nicht mehr nur um die fachliche und personelle Weiterentwicklung einer Abteilung, sondern um die „effektive Gestaltung des Organisationswandels und um das bestmögliche Zusammenspiel aller beteiligten Berufsgruppen“. Gefragt sei eine „professionelle Führungskompetenz“, die all das im Blick habe und sich nicht ausschließlich auf das Bauchgefühl verlasse. Problem nur: Im Studium werden solche Strategien oder Kniffe nicht gelehrt, in Praxen und auf Klinikfluren regiere, so Jonitz, ein „Learning by doing“. Unter seiner Mitwirkung hat die Bundesärztekammer deshalb vor einigen Jahren auf Basis einer Bedarfsanalyse ein Curriculum entwickelt, das sowohl ambulant als auch stationär arbeitenden Medizinern Schlüsselkompetenzen beibringen soll. Hier wird vermittelt, was in Aus- und Weiterbildung fehlt: Führungsansätze, die Entwicklung eines eigenen Führungsstils, das Herausschälen von Kommunikationsskills.  

Erster Schritt: Führungsrolle annehmen

Wer sich bei Sabine Neuwirth ins Seminar setzt, lernt erst mal eines: Für ein gutes Team braucht es eine starke Führung, klare Absprachen und nahtlose Kommunikation. „Wenn die Zusammenarbeit im Praxisteam nicht stimmt, trägt der Arzt die Verantwortung“, so Neuwirth. Nun kennt die Managementliteratur mehrere unterschiedliche Führungsmodelle: Der autoritäre Führungsstil setzt auf Anweisungen und Kontrolle – eine klassische Methode, auf die nach Neuwirths Beobachtung vor allem ältere Ärzte noch setzen. Kooperativ führen Ärzte hingegen, wenn sie ihre Mitarbeiter in das Geschehen einbeziehen, auch Diskussionen erlauben oder sogar anstoßen. Ein hohes Maß an Freiheit genießen wiederum Mitarbeiter, deren Chefs dem Laissez-faire-Stil folgen: „Lasst sie machen“, lautet hier das Motto, eigenständiges Arbeiten wird verlangt, Individualität geschätzt. Vor allem jüngere Praxisinhaber zögen sich gern mal aus der Organisation des Alltags zurück, beobachtet Neuwirth, und vertrauten darauf, dass die Praxis auch ohne ihren Druck und ihre Aufsicht reibungslos läuft. Viel wichtiger aber, als nun einem bestimmten Managementmodell nachzueifern, ist es laut Neuwirth, authentisch zu führen. Dafür gilt es zunächst, die eigene Führungsrolle zu akzeptieren. Man sollte also nicht hoffen, dass sich Prozesse und Rollenverteilungen schon auf mysteriöse Weise selbst regeln, sondern sich aktiv als Vorgesetzten begreifen – und dies unabhängig davon, ob man sich nun als Teil des Teams betrachten oder eher einen distanzierteren Führungsweg einschlagen will. „Wichtig ist, dass ein Arzt seine Aufgabe als Leiter der Praxis wahrnimmt, sie ernst nimmt – oder aber in Teilen delegiert, etwa an eine Praxismanagerin oder Ersthelferin.“ Für Aha-Effekte sorgen kann dann eine Analyse, wie sie häufig zu Beginn von Führungskräftecoachings durchgeführt wird: Jeder Vorgesetzte hat schließlich einen anderen Stil, fühlt sich in einem anderen Gebaren oder Handlungsmuster wohl, sollte dies aber bewusst reflektieren: Wie gebe ich Anweisungen? Gebe ich überhaupt gern Anweisungen? Und wie werden diese Anweisungen verstanden? Bin ich eher der Kumpeltyp, Vertrauensmann, mehr Freundin denn Chefin? Oder brauche ich einen gewissen professionellen Abstand zu meinen MFA?  

Prägen und gestalten – Führung als Chance für Praxis und Klinik

Eine psychologische Reise also? Führungsverhalten zu lernen, bedeutet tatsächlich immer auch, die eigene Position zu beleuchten, die eigenen Werte abzuklopfen. Neuwirth: „Die Haltung oder Position des Arztes als Führungskraft spiegelt sich ja am Ende auch im Auftreten und Agieren seiner Mitarbeiter wider.“ Wer sich also auf den Weg der Personalführung begibt, unternimmt dafür zwangsläufig auch eine Reflexion der eigenen Persönlichkeit. Und muss sich spätestens dann die Frage stellen: Was will ich repräsentieren? Und wofür soll meine Praxis stehen? Auf der Managementebene eines Krankenhauses gilt das einmal mehr: Von „Werthaltungen und Fähigkeiten“ spricht Josef Düllings, Präsident des Verbands der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VKD). In seinem Buch „Fokus Führung“, das er gemeinsam mit zwei Kollegen herausgegeben hat, beschreibt er Prinzipien personaler Führung, berichtet von Menschen – er nennt sie „Takeoff- Persönlichkeiten“ –, die das Verhalten auch anderer Personen in ihrem Umfeld prägen, von „Multiplikatoren, die zur produktiven Nachahmung motivieren“. Die Kultur, die diese Führungskräfte vertreten und ausstrahlen, werde zwangsläufig zur Kultur der Abteilung, der Klinik, der Arztpraxis. Man denke etwa an familiengeführte Unternehmen, die „traditionell die Prägung ihres Firmengründers in ihre Kultur“ übernommen hätten, so Düllings.

Wissen teilen, Werte vermitteln – so geht Führung heute

Was heißt das fürs Tagesgeschäft? Eine erste Werthaltung wäre etwa, ständig an den eigenen Fähigkeiten zu arbeiten und persönlich zu wachsen, sagt Düllings: Es müsse „also der persönliche Take-off“ erfolgen, bevor die Klinik oder die Arztpraxis aufsteigen könne. Vermitteln sollten Führungskräfte außerdem den Willen, am Ball zu bleiben, einen Misserfolg nur als Zwischenergebnis zu werten. Zudem sollten sie laut Düllings nicht mit Informationen geizen, ruhig auch ihre Ideen weitergeben. „Geheimdiplomatie in Krankenhäusern ist kalter Kaffee“, so der Diplom-Soziologe, der das St. Vincenz-Krankenhaus in Paderborn leitet. Und schließlich müsse sich jeder, der Personalverantwortung trage, darüber im Klaren sein: Auch die besten Mitarbeiter kommen als Gesamtpaket daher, haben also Stärken und Schwächen. „Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, vor allem auf die Stärken zu achten, diese zu würdigen und gezielt einzusetzen, damit sie wachsen können“, so der Klinikchef. Und hat dabei durchaus ökonomische Hintergedanken: „Wertschätzung ermöglicht auch viel leichter Wertschöpfung.“

Sprecht miteinander!

Hinweise, die auch für die Arztpraxis gelten: „Anerkennung und Wertschätzung sind der Schlüssel für motivierte Mitarbeiter in einer Praxis“, bestätigt Ärzte-Coach Sabine Neuwirth. Sie rät Ärzten dazu, in stetigem Gespräch mit ihren Mitarbeitern zu bleiben. „Und zwar fortlaufend und effektiv.“ Was vor allem eine klare Linie bedeutet: regelmäßige Teamsitzungen einberufen, Themen auf den Tisch bringen, Ziele setzen – und ein Zeitmanagement vereinbaren. Auch Josef Düllings hält Kommunikation für einen wirksamen Hebel der Mitarbeiterführung, muss aber erkennen, dass sie allzu oft für selbstverständlich gehalten werde. Reden? Kann doch jeder. Zuhören? Aber klar. Nicht alle Ärzte machten sich die Mühe, ihr Kommunikationsgeschick selbstkritisch zu hinterfragen. Die Folge: Kommunikation wird gerade in Kliniken erst dann zum Thema, „wenn sie misslingt“. Wenn also der eine Arzt plötzlich nicht mehr mit dem anderen kann, die Arzthelfer untereinander granteln oder – sich anschweigen. Und nein, warnt Düllings, das eigene Gesprächsverhalten sei wahrlich keine Privatsache oder etwas rein Persönliches. Dass jemand sich hinter der Ausrede verschanze, er habe schon immer so gesprochen, das sei nun einmal seine Art, könne nicht akzeptiert werden. „Im Job bin ich Rollenträger und muss meine Funktion erfüllen“, so der VKD-Chef. Positives, zugewandtes Kommunizieren gehöre dazu, ebenso reflektiertes Vorgehen, indem man sich frage: „Wie reden wir miteinander – und zwar über Probleme, aber auch über Lösungen?“ Und schließlich gilt, in Praxen wie in Kliniken: ansprechbar bleiben, nahbar bleiben. „Denn was Ihre Mitarbeiter am Ende wirklich brauchen“, diesen Rat gibt Neuwirth den Ärzten gern zum Abschluss der Coachings mit auf den Weg, „sind Sie.“

Hier gibt es weitere Informationen: Die Landesärztekammern bieten Führungsfortbildungen nach dem von der BÄK entwickelten Curriculum an. Die nächsten Termine des dreitägigen Seminars der Ärztekammer Berlin etwa sind der 9. bis 11. Mai sowie der 13. bis 15. Juni 2019; im sächsischen Leisnig werden Ärzte am 21. und 22. März sowie am 16. und 17. Mai fit für die Führung gemacht (Ärztekammer Sachsen); bayerische Ärzte haben vom 1. bis 6. April 2019 Gelegenheit (Bayerische Landesärztekammer), ihre Führungsskills zu schärfen. Infos bei den jeweiligen Kammern. Der Ratgeber „Fokus Führung. Was leitende Klinikmitarbeiter wissen sollten“ wurde herausgegeben von Dr. Josef Düllings, Prof. Dr. Hans-Fred Weiser und Andreas Westerfellhaus. Erschienen ist er 2016 in der Medizinisch Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft (ISBN 978-3-95466-241-8). Wer weiter in die Materie von (Personal-)Management und Betriebswirtschaft einsteigen möchte, findet Lehrreiches in Horst-Joachim Rahns Buch „Unternehmensführung“, dessen neunte aktualisierte Auflage 2015 erschienen ist (Verlag Kiehl, ISBN 978-3-470-43019-5).

Text: Romy König

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