Gut die Hälfte der niedergelassenen Ärzte schätzt Werbemaßnahmen für die eigene Praxis als wichtig ein. Doch müssen sich Mediziner für Themen wie Außendarstellung und Onlinereichweite interessieren? Besser wäre es, sagen Marketingprofis.

Abstoßen. Das war der Plan. Die Praxis noch kurz halten, ein paar Monate vielleicht, ein paar wenige Jahre höchstens, sie dann verkaufen – und sich selbst aufmachen in den Ruhestand. Viel war ohnehin nicht mehr passiert in den letzten Jahren: Die Patienten wurden weniger, er selbst, niedergelassener Zahnarzt seit mehr als 30 Jahren, immer arbeitsmüder, wahrscheinlich bedingte auch das eine das andere: Mit ausbleibenden Patienten sinkt der Spaß an der Arbeit, und einem Mediziner mit wenig Arbeitselan wiederum laufen die Patienten weg. Der Verkauf der Praxis also: beschlossene Sache.
Doch wie das so ist mit Ware, Leistungen, und ja, auch ganzen Geschäften, die feilgeboten werden sollen: Sie haben attraktiv zu sein, annehmbar, bekannt, um für Käufer in Frage zu kommen. Seine Zahnarztpraxis jedoch war trotz Großstadtlage nichts davon. Der Mediziner musste aktiv werden, sein Geschäft für den Verkauf trimmen. „Die Braut aufhübschen“, nennt das Christian Finke, geschäftsführender Gesellschafter der Informationsstelle Gesundheit, einer Düsseldorfer Agentur, die sich auf Praxismarketing spezialisiert hat. Dienstleister wie er kümmern sich um eine gelungene Außendarstellung von Ärzten, polieren die Reputation auf, sorgen auf verschiedenen Wegen dafür, dass niedergelassene Mediziner von interessierten Patienten gefunden werden.
Etwas mehr als die Hälfte der niedergelassenen Ärzte (51,8 Prozent) in Deutschland stuft Maßnahmen des Praxismarketings derzeit als wichtig oder sehr wichtig ein. Das zeigen die jüngsten Zahlen, die die Stiftung Gesundheit in ihrer Studienreihe „Ärzte im Zukunftsmarkt Gesundheit“ jährlich zusammenstellt. Dabei hatte es unlängst durchaus einen Einbruch gegeben: In den Jahren 2014 bis 2016 lag der Anteil der Marketingbefürworter unter den Ärzten nur bei 41,7 (2014), 45,9 (2015) und 44,3 Prozent (2016), was die Wissenschaftler mit einer Korrelation zwischen Konjunktur und Marketingbudget zu erklären versuchen: Nachrichten über eine schwächere gesamtwirtschaftliche Lage oder aber die gefühlte Konjunktur in der jeweils jüngeren Vergangenheit führe – durchaus also retrospektiv – bei Ärzten zu mehr Aufmerksamkeit für das eigene Marketing. Die Zeit scheint nun wieder gekommen.
Für wie viele unterschiedliche Szenarien Marketingmaßnahmen nötig oder hilfreich sein können, lässt sich gut an den Fällen ablesen, die Finke und sein Team betreuen: Da ist etwa die neu gegründete Zahnarztpraxis in mittelmäßiger Stadtrandlage, die vor allem Patienten aus der direkten Umgebung anziehen will; da ist die etablierte, gut laufende Praxis, die sich nicht auf dem Erreichten ausruhen, sondern expandieren will, sowohl räumlich als auch personell. Da ist aber auch die Hautarztpraxis, die sich ausschließlich an Privatpatienten richtet, sich höheren Umsatz wünscht – aber zeitgleich schlechte Bewertungen über sich in diversen Arztportalen lesen muss. Oder die Zahnarztpraxis in prekärer Lage, die mit 120 Patienten pro Quartal kaum über die Runden kommt, sogar Schwierigkeiten hat, den Kredit für die Praxis abzuzahlen.

Sichtbarkeit im Netz ist ein Muss

Marketing sei wertlos, sagt Finke, wenn es kein konkretes Ziel verfolge. Auch gebe es kein universell einsetzbares Allheilmittel, das jeder Praxis sogleich neue Patienten beschere. Die Fachrichtung, die Spezialisierung der Praxis und ihre Lage, der Wettbewerb müssten genau analysiert werden. Eines gelte jedoch immer: Die Maßnahmen müssen sich am Patienten ausrichten. Und: Das Internet muss bespielt werden. Und zwar gekonnt.
Laut Umfragen des Arztbewertungsportals Jameda suchen 70 Prozent der Patienten ihre Ärzte im Internet; knapp ein Drittel der Interessenten nutzen Arztportale für ihre Suche nach einem für sie passenden Mediziner. Viele Ärzte haben das bereits erkannt: Schon seit Jahren führt die Präsenz im Netz das Ranking der als am wichtigsten erachteten Marketingmaßnahmen an, so die Studie der Stiftung Gesundheit. Aktuell stufen knapp zwei Drittel der befragten Mediziner (64,8 Prozent) die eigene Website oder die Listung in Arztportalen als notwendig ein; einer anderen Umfrage des Bewertungsportals Jameda zufolge haben sogar 82 Prozent eine eigene Homepage. Zum Vergleich: Die klassische Visitenkarte hält nur noch ein Viertel der in der Stiftungs-Studie befragten Mediziner für ein bedeutungsvolles Marketinginstrument (24,8 Prozent, 2012 waren es 44,8 Prozent).
Internet rules? Ganz sicher. Doch gerade ältere Ärzte scheinen das noch nicht ganz verinnerlicht zu haben, so wie etwa der pensionswillige Zahnarzt, den Finkes Agentur – Stichwort „Braut aufhübschen“ – betreut: Zwar führte der Zahnarzt eine eigene Homepage, doch war diese „nur rudimentär gestaltet, nicht patientenorientiert – und im Netz auch kaum auffindbar“, erinnert sich Finke. Seine Agentur setzte die Webseite neu auf und den Mediziner selbst vor eine Kameralinse – mit professionellen Fotos wirkt eine Homepage einfach persönlicher und ansprechender. Außerdem arbeiteten die Marketingprofis die Behandlungsschwerpunkte der Praxis stärker heraus, trugen sie samt Webadresse in Patientenportale ein. Schließlich rutschte die Homepage im Google-Ranking auf die erste Seite, wurde immer häufiger von Interessenten gefunden. Auch die Praxis in finanzieller Schieflage konnte sich dank Marketing erholen. Die Texte für die Praxishomepage wurden patientenfreundlicher formuliert, bisher unberücksichtigte Themen und Leistungen eingearbeitet und für Suchmaschinen optimiert (siehe Kasten), sodass sie schneller gefunden, die Reichweite der Seite auch in den umliegenden Städten erhöht werden konnte. Ergebnis? Statt bislang 120 suchen nun 380 Patienten die Praxis pro Quartal auf – eine Steigerung, die innerhalb eines Jahres erfolgte. Der Umsatz erhöhte sich entsprechend, mit der Hausbank konnten neue Kredit-Rückzahlungsmodalitäten vereinbart, die Praxis schneller abbezahlt werden.

Papierflyer: noch lange nicht out

Richtig aus dem Vollen schöpfen können Marketingexperten aber vor allem beim Neustart eines Unternehmens, wie etwa bei der neu gegründeten Praxis am Stadtrand. Da wird am Corporate Design gefeilt und ein Logo erstellt, werden Praxiskleidung und Geschäftsausstattung abgestimmt. Zwei Monate vor Eröffnung ging die Homepage der Praxis online, zwei Wochen vor dem Termin schaltete die Agentur Anzeigen in der lokalen Presse und im Netz, verteilte Flyer vor Ort. Flyer? In Zeiten von Google-AdWords und Online-Reichweitenerhöhung? Durchaus ein adäquates Mittel, sagt Finke. Gerade bei einer Neugründung gebe es schließlich keinen Patientenstamm, sei die Praxis im Umfeld nicht bekannt, müsse sich der Behandler erst „im lokalen Wettbewerb positionieren“. Ein Flyer, ansprechend und informativ gestaltet, gehöre ebenso zur Grundausstattung einer Praxis wie die Homepage oder eben auch Visitenkarten. Und: „Ein ansprechender Flyer hilft beim Verkauf von Privat- und IGeL-Leistungen“, so Finke.
Dem Kunden etwas Haptisches, Physisches in die Hand geben zu können, das ist in der Dienstleisterwelt gar keine schlechte Idee, meint Prof. Dr. Thomas Sander, der an der Medizinischen Hochschule Hannover das Lehrgebiet Praxisökonomie aufgebaut hat und in seinem Buch „Meine Zahnarztpraxis – Marketing“ Tipps gibt, wie Zahnärzte, aber auch Ärzte anderer Fachrichtungen ihre Praxen bekannt machen können. Dienstleistungen seien nun einmal immaterielle Güter und damit schlecht greifbar – ein Flyer, eine Praxisbroschüre oder auch anderes papiernes Infomaterial schaffe dazu einen guten Ausgleich, so Sander. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) rät Ärzten sogar zu einer eigenen Praxiszeitung – auch diese: ruhig in Papierform statt als elektronische Datei. Auf diesem Wege lasse sich gezielt über die Angebote der Praxis informieren, so der Dachverband. Drei- bis viermal im Jahr könne eine solche Publikation erscheinen, ruhig in einer Auflage von 2000 Stück und vier Seiten umfassend, auf denen etwa die internen Abläufe einer Praxis erläutert, Mitarbeiter näher vorgestellt werden, ein medizinisches Thema behandelt wird. Ja, räumt der Verband ein, ein solches Marketinginstrument sei teuer und koste Zeit – aber eine Praxis, in der eine Empfangsmitarbeiterin dem Patienten ein solches Heft in die Hand geben könne, hebe sich ungemein vom Wettbewerb ab. Selbst wer die Zeitschrift im Wartezimmer vielleicht nicht lese, habe dann aber „trotzdem wahrgenommen, dass seine Praxis ein besonderes Angebot für Patienten schafft“.
Auch der mit seinem Ruhestand liebäugelnde Zahnarzt hat dank des groß angelegten Praxismarketings noch einmal Auftrieb bekommen: Schon einige Jahre ist es nun her, dass er mit Finkes Hilfe seine Praxis stärker beworben hat – die Patientennachfrage ist gestiegen, er hat den Spaß an der Arbeit wiedergefunden, praktiziert weiter. Von Verkauf der Praxis ist keine Rede mehr. Die aufgehübschte Braut – sie hat ihm am Ende selbst am besten gefallen.

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